Nationales Routing als politische Strategie

Das Überleben der Strategie der Reterritorialisierung

Mit dem Routing-Ansatz ist der Versuch verbunden, soziale Prozesse technisch zu regulieren, in diesem Fall die Krise der Privatheit. Der Lösungsvorschlag des nationalen Routings aktiviert nicht nur Befürworter*innen, sondern auch Gegner*innen. Am Ende kann der Vorschlag nicht alle Beteiligten der Arena überzeugen und sich nicht als gemeinsamer Kompromiss entfalten. Aber auch wenn sich der Ansatz des nationalen Routings am Ende nicht durchsetzt, sind die dahinterliegenden Strategien der Reterritorialisierung nicht vom Tisch.

Es muss das gemeinsame Ziel aller Betei­ligten sein, dass Deutschland seine Autonomie und Hand­lungsfähigkeit im Bereich der Informations­- und Telekom­munikationstechnik erhält und weiter ausbaut. Den Erhalt unserer technologischen Souveränität in wichtigen Bereichen werden wir auch in unserer Außenwirtschaftspolitik berücksichtigen.

Reterritorialisierung kann auch unabhängig von technischen Lösungen und mit anderen Mitteln wie Gesetzen oder Selbstverpflichtungen weiterverfolgt werden. So ist die Karriere des nationalen Routings nur eine Form der Strategie der Reterritorialisierung. Hinter diesen Ansätzen steht eine bestimmte Form demokratischer Politik – Es geht um den Versuch, territoriale Logiken in ein Zeitalter der Digitalvernetzung zu retten.

Routing als Ausdruck einer bestimmten Politik

Der Routing-Ansatz und die dahinterliegende Strategie der Reterritorialisierung sind Aus­drucks­wei­se einer bestimmten Form von Politik. Durch den Schutz oder die Wiederherstellung von Territorialität und Nationalstaatlichkeit sollen die politischen Routinen und der Status quo der Demokratie insgesamt erhalten werden. Aus Sicht dieser Politik gelten die institutionellen Mechanismen und Abläufe des Gemeinwesens als einwandfrei. Es scheint entsprechend nicht notwendig, Demokratie zu revitalisieren oder neuzuerfinden. Die aktuelle Rechtsauffassung, das liberale Verständnis von Freiheit und die Repräsentation von Interessen scheinen intakt und schützenswert. Die Krise wird außerhalb des demokratischen Gemeinwesens verortet und die Institutionen sind lediglich durch externe Kräfte bedroht. Diese Form von Politik nennen wir demokratischen Protektionismus.

Im demokratischen Protektionismus bleibt auch die Zukunft der Privatheit weitgehend unumstritten. Stattdessen ist die Debatte von bürgerlichen und individualistischen Vorstellungen von Privatheit bestimmt. Dagegen wird kaum gefragt, was Privatheit im digitalen Zeitalter sein kann oder sein soll. Obwohl sich die technischen und sozialen Bedingungen von Politik und Demokratie verändern, wird mit einer Transformation von Privatheit wenig gerechnet. Die Politik des demokratischen Protektionismus ist eben nicht nur durch die Sorge um Privatheit getrieben, sondern mehr noch auf den Schutz der institutionellen Routinen des Nationalstaats ausgerichtet. Dem Begriff und dem Wert der Privatheit wird durch diesen spezifischen Zugriff eine besondere Bedeutung aufgeprägt.

Dabei wird auch sichtbar, wie die Verhandlungen um Privatheit zu Fragen der Demokratie in Beziehung stehen. Nahezu alle Akteur*innen der Privacy-Arena verstehen den digitalen Wandel nicht nur als ein Problem für Privatheit, sondern auch als eine Herausforderung für die Demokratie. Es geht selten nur um die politische Steuerung von Privatheit, sondern auch um die Suche nach einem angemessenen Umgang mit digitalen Krisen. Alternative politische Reaktionen auf die Krise der Privatheit nach Snowden können mit anderen Formen demokratischer Politik einhergehen. Bisher bleibt die Frage aber offen, welche Formen von Demokratie es schaffen, die digitalen Entgrenzungen und Vertrauenskrisen so einzuhegen, dass Selbstbestimmung gewahrt oder gesteigert wird.