Die diversen Lösungsstrategien für die Zukunft der Privatheit im NSA-Untersuchungsausschuss
Es ist nicht ungewöhnlich anzunehmen, dass Privatheit und Demokratie zusammengehören. Es finden sich zahlreiche Wissenschaftler*innen, die Privatheit als eine notwendige Voraussetzung für Demokratie verstehen. Außerdem kann eine Neuordnung des Privaten eine Veränderung der Demokratie bedeuten. Damit ist jede politische Verhandlung von Privatheit immer auch eine Reproduktion oder Modifikation demokratischer Politik. Weder Demokratie noch Privatheit können deshalb als feste Größen gefasst werden, sondern nur als bewegliche Variablen, die in Abhängigkeit voneinander restabilisiert oder transformiert werden.
Wie ist die Suche nach Antworten auf die Krise der Privatheit angesichts der Digitalisierung verbunden mit den bestehenden Institutionen, Routinen und Ressourcen des Rechts, der Staatlichkeit und der Demokratie?
Es ist sinnvoll, in einer Kontroverse um die Zukunft der Privatheit nach den diversen Artikulationen der Demokratie zu suchen, um dann vor diesem Hintergrund nach den multiplen Formen des Privaten in der Kontroverse zu forschen. Die NSAUA-Arena verstehen wir als ein Segment der Kontroverse um das Issue Privatheit. Die kollektive Lösungssuche in der NSAUA-Arena bedeutet deshalb auch Arbeit in der Privacy-Arena und am Issue Privatheit: Erstens direkt, insofern die Bedrohung oder der Schutz von Privatheit explizit Teil des Problems der Ausschussarbeit sind. Zweitens indirekt, insofern in der NSAUA-Arena immer auch über die Zukunft demokratischer Politik in Zeiten der Digitalisierung verhandelt wird, was wiederum (hemmend oder beschleunigend) an der Transformation des Privaten mitwirkt. Praktisch sind diese beiden Komplexe eng miteinander verwoben: Die Demokratieformen der Arena beeinflussen, wie das Issue Privatheit erfasst wird und welche Lösungsansätze in Frage kommen (alte Privatheit schützen oder neue Privatheit erproben?), während andersherum diverse Konzeptionen von Privatheit auf bestimmte Demokratiemodi stabilisierend und auf andere transformierend wirken (als individuelles Abwehrrecht ist Privatheit Element liberaler Demokratieformen).

Amplituden der Problembearbeitung
Die Kontroverse der NSAUA-Arena ist geprägt durch zwei Modi demokratischer Politik. Insbesondere die Zuschnitte und Transformationen des NSAUA-Issue lassen sich als Artikulationen dieser beiden Demokratiemodi lesen. Das Zusammenspiel der beiden Modi resultiert in einer Oszillation der Problembearbeitung zwischen den zwei Polen dieser demokratischen Politikformen. Am Ende folgt daraus außerdem eine Limitierung der kollektiven Suche nach Problemdefinitionen und entsprechenden Lösungen. Die Ausschläge und Amplituden der Problembearbeitung bleiben beschränkt auf das Feld zwischen diesen beiden Modi demokratischer Politik.
Den ersten Modus demokratischer Politik nennen wir demokratischen Protektionismus: Für diese Artikulationsweise der Demokratie ist es typisch an Routinen festzuhalten. Bedrohungen und Probleme (für Privatheit oder Demokratie) werden außerhalb bewährter Routinen verortet und die eigenen Institutionen kaum in Frage gestellt. In der Öffentlichkeit wird zwar um Zustimmung gebeten, nicht aber um Beiträge oder Erweiterungen der Problemdefinition. Breite öffentliche Problemberatungen sind nicht vorgesehen. Stattdessen kümmern sich Eliten und Expert*innen aus Staat und Industrie um die Suche nach Lösungen. Passend dazu ist der demokratische Protektionismus durch Opazität gekennzeichnet: Probleme werden eher intransparent in repräsentativ-demokratischen Gremien oder Ministerien beraten.
Wir haben die richtige Balance gewahrt zwischen notwendigen Maßnahmen und einem kühlen Kopf, der notwendig ist, damit der Rechtsstaat nicht vom Sicherheitsstaat usurpiert wird
Mit dem BND-Gesetz treffen wir als Parlament eine Entscheidung darüber, wie weit wir als Gesellschaft gehen wollen, um uns zu schützen, welche Befugnisse wir unseren Nachrichtendiensten einräumen, um uns unsere freiheitliche Lebensart und unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zu bewahren und zu verteidigen. Das BND-Gesetz ist also ein Gradmesser dafür, wo wir als Gesellschaft die angemessene Balance zwischen Freiheit und Sicherheit sehen.
Im NSAUA sind eine Reihe protektionistischer Praktiken und Diskurse zu beobachten. So wird etwa die Digitalisierung als Problem mit externen Ursachen behandelt, gegen das sich die deutsche Ordnung schützen muss. Entsprechend wird insbesondere in der Anfangsphase des NSAUA versucht, die Ursache des Problems bei externe Akteur*innen wie der NSA zu verorten. Höhepunkt protektionistischer Politik in der Arena ist aber die beschlossene Änderung des BND-Gesetzes: Im Zentrum der Gesetzesänderung steht die Fortsetzung bestehender Routinen des BND. Darüber hinaus scheint das Gesetz kaum öffentlich beraten worden zu sein: Das Gesetz wurde genauso vom Bundestag verabschiedet, wie es das Bundeskanzleramt vorgeschlagen hat.
Den zweiten Demokratiemodus bezeichnen wir als demokratischen Konstitutionalismus. Dieser Modus stützt sich auf abstrakte Prinzipien wie Verfassungsrecht oder Menschenrechte. Von dort aus können interne Probleme thematisiert werden, ohne die Ordnung des Gemeinwesens insgesamt in Frage zu stellen. Der NSAUA und die Untersuchungsausschüsse im Allgemeinen sind formal typische Erscheinungsformen eines demokratischen Konstitutionalismus; außerordentliche Routinen, um Missstände vor dem Hintergrund der Verfassung aufzudecken und zu reformieren. Doch trotz dieser formalen Anlage dominiert der Konstitutionalismus die NSAUA-Arena nicht.
Wenn wir aber Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Privatheit und damit unsere Freiheit nicht zurück erkämpfen, drohen diese Errungenschaften in repressiver Überwachung unterzugehen
Die Analyse der NSAUA-Arena verdeutlicht im Gegenteil die Grenzen des demokratischen Konstitutionalismus. Auf der einen Seite zeigen sich zwar immer wieder konstitutionalistische Momente in der Politik der Arena, etwa die Verschiebung des Untersuchungsschwerpunktes hin zu den internen Routinen deutscher Politik und die Selbsttransformation des Ausschusses durch eine Erweiterung seines Auftrages. Auf der anderen Seite bleiben die Routinen des NSAUA aber an etablierte Institutionen des Nationalstaates gebunden und konstitutionalistische Politiken können sich nur beschränkt entfalten. Am Ende wurden die reflexiven Problematisierungen des Ausschusses als Input für die protektionistische BND-Reform verwendet.
Anstatt Privatheit zu feiern oder zu denunzieren, um den Prozess der Neuordnung dann irgendwelchen postdemokratischen Agenturen […] zu überlassen, sind wir aufgerufen, empirisch, theoretisch und politisch zu (re)agieren
Diese Situation hat auch Folgen für die Rolle von Privatheit in der NSAUA-Arena. Abhängig davon, welche Politik im Ausschuss möglich ist, wird auch Privatheit auf verschieden Arten geschützt, kritisiert, instrumentalisiert oder verändert. Privatheit wird im Untersuchungsauftrag des NSAUA genannt und ist auch darüber hinaus Teil der Aushandlungen in der Arena. Im limitierten Spannungsfeld zwischen Protektionismus und Konstitutionalismus gilt Privatheit als ein feststehender Wert. Als solcher kann Privatheit dann nur geschützt werden, entweder protektionistisch in Abhängigkeit von Sicherheit oder konstitutionalistisch als bürger- oder menschenrechtliche Norm. Neue Formen von Privatheit und die Transformationspotenziale des Privaten finden in diesem Spektrum wenig Raum.