Der NSA-Untersuchungsausschuss als Kontroverse um die Zukunft der Privatheit

Die Enthüllungen des ehemaligen US-amerikanischen Nachrichtendienstmitarbeiters Edward Snowden erinnern in neuer Weise an den sozialen Wandel in Zeiten der Digitalisierung. Die Veröffentlichungen bringen auf den Punkt, wie digital-vernetzte Praktiken auf allen Seiten (Staaten, Unternehmen, Aktivist*innen, User*innen) klassische Institutionen und Routinen der Moderne erschüttern. Auch Privatheit wird in dieser Weise verunsichert. Die Krise dieses traditionellen Ordnungskonzepts hat zur Folge, dass sich Interessierte in Sorge um Privatheit versammeln. Dabei herrscht kein einheitliches Verständnis über das Private, sondern es ist gerade die Erschütterung der gemeinsamen Angelegenheit, die zu neuen Kontroversen um das Issue Privatheit zwingt.

Der Auftrag des NSA-Untersuchungsausschusses

Im Zentrum stehen hier die Aushandlungen im und um den NSA-Untersuchungsausschuss (NSAUA). Dieses Gremium von Abgeordneten im Deutschen Bundestag wurde einberufen, um auf die Enthüllungen des ehemaligen US-amerikanischen Nachrichtendienstmitarbeiters Edward Snowden zu reagieren.

Das Gremium […] soll Ausmaß und Hintergründe der Ausspähungen durch ausländische Geheimdienste in Deutschland aufklären

Eine zentrale Rolle im Streit um das NSAUA-Issue nimmt der am 20.03.2014 beschlossene Einsetzungsantrag des Ausschusses ein. In wenigen Kontroversen findet sich ein Dokument, das in ähnlicher Weise den Anspruch erhebt, das zu behandelnde Problem penibel zu umreißen. Zugleich ist der Einsetzungsantrag des NSAUA Ergebnis einer “aufgeheizten Debatte”, die durch die Verabschiedung des Antrags nicht einfach abgeschlossen ist. Die Existenz dieses Dokuments darf deshalb nicht darüber hinwegtäuschen, dass sowohl vor als auch nach der Einsetzung des NSAUA Uneinigkeiten über seine Aufgaben und Befugnisse bestanden und bestehen. Interessant sind dann nicht zuletzt Differenzen zwischen Antragsdokument und der praktischen Arbeit des Ausschusses.

Dieser Ausschuss hätte in erster Linie die Aufgabe herauszufinden, was die deutschen Dienste gemacht haben, vielleicht mit der NSA zusammen

In diesem Sinne lohnt sich ein Blick auf die formale Aufgabenbeschreibung des NSAUA: Laut Einsetzungsantrag soll die Frage untersucht werden, inwieweit Nachrichtendienste der Five-Eyes-Staaten (Australien, Kanada, Neuseeland, Vereinigtes Königreich, Vereinigte Staaten) Daten “von, nach und in Deutschland” erfasst haben. Auf der Webseite des Bundestages heißt es: “Das Gremium […] soll Ausmaß und Hintergründe der Ausspähungen durch ausländische Geheimdienste in Deutschland aufklären”. Doch das formale Aufgabenspektrum ist breiter: Laut Einsetzungsantrag ist auch von Interesse, “inwieweit Stellen des Bundes […] von derartigen Praktiken Kenntnis hatten [oder] daran beteiligt waren”. Zuletzt soll der Ausschuss klären, ob Empfehlungen zur Wahrung “der informationellen Selbstbestimmung [und] der Privatsphäre geboten sind”. Zusammengefasst soll der NSAUA vor allem zwei Dinge aufklären: Die Aktivitäten ausländischer Dienste und die Beteiligungen deutscher Stellen.

Der Untersuchungsausschuss soll […] klären, […] ob Empfehlungen zur Wahrung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutzes der informationellen Selbstbestimmung, der Privatsphäre, des Fernmeldegeheimnisses und der Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme sowie der sicheren und vertraulichen Kommunikation in der staatlichen Sphäre geboten sind

Mitte 2016 und damit gegen Ende der Laufzeit des NSAUA wurde der Auftrag des Gremiums auf Initiative der Oppositionsfraktionen erweitert; insbesondere um die Frage, wie der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) eigene Operationen (unabhängig von Kooperationen mit US-Diensten) organisiert und inwiefern die Regierung über eventuell problematische Praktiken informiert war. Im Zentrum der Untersuchung stehen dabei bestimmte Selektoren, d.h. Suchbegriffe und Telekommunikationsmerkmale, nach denen Nachrichtendienste gespeicherte Daten durchsuchen. Selektoren der NSA waren auch schon vor der Erweiterung des Untersuchungsauftrags Thema im NSAUA, Selektoren des BND darf das Gremium jedoch erst mit der Erweiterung thematisieren.

Der NSA-Untersuchungsausschuss als soziale Arena

Um dieses Situation aufzuschlüsseln, habe wir eine Kartografie der Kontroverse um die Arbeit des Ausschusses angefertigt. Dafür erfassen wir die Aushandlungen des NSAUA als soziale Arena, in der diverse soziale Welten aufeinander treffen, um ein geteiltes Problem zu bearbeiten. Dieser Ansatz geht zurück auf Anselm Strauss. Soziale Welten sind Gruppen mit einem gemeinsamen Interesse an einer bestimmten Kernpraktik. Sie sind bestimmt durch das, was dort getan wird (Kernpraktik), wie es getan wird (Techniken) und wo es getan wird (Orte). Wo soziale Welten in Aushandlungen treten, formieren sich soziale Arenen.

First define how things turn the public into a problem, and only then try to render more precise what is political, which procedures should be put into place, how the various assemblies can reach a closure and so on

Wir verstehen den NSAUA als Fragment der Arena aller Aushandlungen um die Krise und Neuordnung der Privatheit, d.h. als ein Segment der Privacy-Arena. Doch in kaum einer Arena wird Privatheit isoliert verhandelt und auch im NSAUA geht es nie nur um Privatheit. Stattdessen sind Kontroversen um Privatheit immer eingebettet in ein Geflecht aus diversen Interessen, Werten, Techniken und Praktiken. So haben wir es bei der Kartografie der NSAUA-Kontroverse immer auch mit Elementen eines umfassenderen Streits um die Ordnung der digitalen Welt und die Zukunft demokratischer Politik zu tun. Die NSAUA-Arena befindet sich an einer Schnittstelle der vielen Kontroversen um die Snowden-Enthüllungen, die Zukunft der Privatheit, die Ordnung der digitalen Welt und die Transformationspotenziale der Demokratie.

Die kollektive Suche nach einer Problemdefinition

Aufschlussreich ist dabei die (teils konflikthafte, teils kompromissorientierte) kollektive Suche nach Problemdefinitionen und daran anschließenden Lösungen. Auch das Problem, dem sich der NSAUA widmen soll, ist umstritten – klar scheint nur, dass es ein Problem gibt. So markiert die bloße Existenz des NSAUA, dass ein Problem aufgetaucht und als solches registriert wird.

Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages werden fallbezogen und außerordentlich einberufen. Sie sollen es der zentralen Institution der deutschen Demokratie ermöglichen, Sachverhalte zu prüfen, “insbesondere Vorgänge, die in den Verantwortungsbereich der Regierung fallen und die auf Missstände hinweisen”. Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses folgt keinem Automatismus, sondern ist Ergebnis einer Problemwahrnehmung durch Teile der Abgeordneten des Bundestages. Grundsätzlich können Untersuchungsausschüsse von einer Minderheit des Bundestages (in der Regel von der Opposition) einberufen werden. Im Fall des NSAUA jedoch wurde die Einsetzung (nach längeren, größtenteils nicht öffentlichen Verhandlungen) von allen vier im deutschen Parlament vertretenen Fraktionen (Union, SPD, Grüne, Linke) beschlossen. Es bestand also Einigkeit darüber, dass ein Problem aufgetaucht ist.

Untersuchungsausschüsse werden […] nur aus aktuellem Anlass […] eingesetzt. Sie haben die Aufgabe, politische und bürokratische Missstände in der Regierung, im Bundestag und in der Verwaltung zu prüfen und aufzuklären

Das mit der Einsetzung des NSAUA registrierte Problem ist unbestimmt, aber nicht vollkommen unklar. Es hatte zu tun mit den seit 2013 durch Edward Snowden und andere öffentlich gemachten Praktiken westlicher Nachrichtendienste. Im Zuge dieser Veröffentlichungen durch den Whistleblower Snowden wurde in neuer Weise deutlich, wie umfassend Nachrichtendienste versuchen, die globale digitale Kommunikation zu speichern und auszuwerten. Diese Erkenntnis generierte nicht zuletzt innerhalb der deutschen Politik neue Unsicherheit. Der Einstiegspunkt in die Kartografie der NSAUA-Arena liegt deshalb in der Analyse der kollektiven Suche nach einer Problemdefinition.